25.03.2023 | Für viele Maler, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt nach Willingshausen kamen und von Düsseldorf, Frankfurt, später Dresden und anderen Orten dorthin reisten, war Neustadt/Hessen der Zielbahnhof. Dort sind sie ausgestiegen samt Rucksack und Staffelei und haben sich auf den gut einstündigen Fußmarsch begeben über die – auf dem Höhenzu über dem Antrefftal von Buchenwald gesäumte windungsreiche – Landstraße in das Antrefftal nach Willingshausen.

Mit Eröffnung der Main-Weser-Bahn zwischen Frankfurt und Kassel 1849/50 hatte Willingshausen gewissermaßen Bahnanschluss bekommen, Station Neustadt eben. Diese für damalige Verhältnisse – Jahrzehnte vor Erfindung des Automobils – gute überregionale Verkehrsanbindung ist kein gering zu schätzender Standortfaktor gewesen für eine um die Jahrhundertmitte einsetzende Entwicklung, die eine wachsende Zahl von Malern veranlasste Willingshausen zu besuchen.
Wer auf die Karte schaut, wird wahrnehmen, dass das Malerdorf sich zentral, ziemlich in der Mitte des Städtevierecks Neustadt – Treysa (heute Schwalmstadt) – Neukirchen – Alsfeld findet. In Landkreisbetrachtung liegt Willingshausen ganz im Süden des Schwalm-Eder-Kreises an der Schnittstelle zum Vogelsbergkreis und Landkreis Marburg-Biedenkopf. Bis 1972 waren es die kleineren Altkreise Ziegenhain, Alsfeld und Marburg.
Lässt sich diese geografische Lage in Hessen als abseitig bezeichnen? Ist es angemessen das Bild des Bermuda-Dreiecks zu bemühen um artikulieren zu wollen, dass Willingshausen weltfern, abgelegen, ja abgeschnitten sei? Die Antwort kann nur lauten „Nein“. Wer ein solchen Vergleich bemüht, bezeugt schon eher eigenes geistiges Provinzdenken, indem er Klischees aufsitzt und dabei generell unterschlägt, dass in Hessen – wie in anderen Bundesländern auch – es nun einmal ausgedehnte ländliche Gebiete mit Kleinstädten und Dörfern, heute Großgemeinden, gibt, in denen ein nicht geringer Teil Bevölkerung der Bevölkerung lebt.
Recht zufrieden lebt – übrigens großenteil in eigenen Wohnhäusern im Unterschied zu den Großstädten, wo der Anteil der zur Miete Wohnenden in Sachen Wohneigentum Besitzlosen signifikant höher ist.
In einer Zusammenkunft von einer größeren Zahl von Kunst- und Kultufreunden aus der Region jüngst in Willingshausen wurde die Falschbehauptung man sei in Willingshausen im Bermuda-Dreickeck gelegen, völlig ungeniert ausgesprochen. Widerspruch erhob sich dagegen nicht. Als vermeintlicher Beleg wurde angeführt, dass es drei bzw. vier Tageszeitungen gäbe, in Korrespondenz zu den drei verschiedenen Landkreisen, an welche Willingshausen jeweils im Abstand weniger Kilometer zu den Kreisgrenzen nun einmal gelegen ist.
Immerhin wurde dann noch artikuliert, schließlich leben wir im „Digitalzeitalter“, dass es ohne weiteres möglich sei mit Erfolg an die Online-Medien, das Marburger., NH24 und SEK-News Pressemitteilungen zu versenden um Veröffentlichung zu finden.
„Plakatwand“ von Janosch Feiertag, dem 52. Stipendiaten des Künstlerstipendiums Willingshausen als Teil der exceptionellen „Wursthimmel- und Scheunentor“ Installation in der Kunsthalle Willingshausen im Herbst 2021. Sternbald-Foto Hartwig Bambey
Es lassen sich Denkweisen zur Verortung antreffen, die groben Denkmustern und falschen Pattern aufsitzen. Während am Zeitschriften-Kiosk illustrierte Gazetten wie „Landlust“ oder „Landleben“ sich darin überbieten das Leben auf dem Land zu thematisieren und stilisieren, erleben manche Landbewohner/innen nach wie vor sich als abgehängt und provinziell, oder sind es im Denken.

Die nahezu absolute räumliche Mobilität im zu Ende gehenden Konsumzeitalter mit Auto, Bus, Bahn, Flugreisen und E-Bikes wird ebenso unterschlagen wie die Allgegenwart von Medien, ob Hörfunk und Fernsehen oder die Flut der Internetmedien, angeführt von den sogenannten sozialen Medien.
Willingshausen liegt also mitnichten im Bermuda-Dreieck, es liegt einfach mitten in der Welt. Es fehlt im Ort zwar eklatant an einer (Dorf-)Gaststätte als Treffpunkt für soziale Interaktion, auch Aldi und Lidl muss Mensch entbehren. Stattderen kommt die Post sechs Mal in der Woche und rollen mit zunehmender Frequenz Auslieferungsfahrzeuge der Weltkonsumkrake Amazon durchs Dorf.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 22. März 2022 in Art Willingshausen erstmals veröffentlicht.