Schwälmer Tanz – Annäherungen, Betrachtungen und Variationen

07.09.2023 | Mit dem Alltag hatte der „Schwälmer Tanz“, in Kurzform „Schwälmer“ genannt, im früheren Leben der Bewohner der Kulturlandschaft Schwalm wenig gemein. Die damalige bäuerliche Land- und Viehwirtschaft war mit anstrengender körperlicher Arbeit verbunden, ob als Knecht oder Magd auf dem Hof eines Pferdebauern oder in kleineren Höfen mit Kuhgespannen, bis hin zur Existenz von armen Ziegenbauern. In Verbindung mit Fest- und Feiertagsleben, zu der stolze Trachtenkleidung getragen und präsentiert wurde, – so etwa bei Hochzeitsfeiern oder Kirmesfesten – wurde getanzt. Das Aufspielen der Kapelle zum „Schwälmer“ wurde zum Höhepunkt eines solches Festes. Dieser Tanz wurde „außerordentlich schnell getanzt und ist daher sehr anstrengend, so daß zu ihm nur einigemal während des Tanzes aufgespielt wird“ findet sich dazuauf der Webseite dancilla.com mitgeteilt.

Eine Bildikone der Schwalm und ihren Menschen in Tracht: Carl Bantzer Schwälmer Tanz, Öl auf Leinwand, 1898, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität Marburg © Bildarchiv Foto Marburg Thomas Scheidt

Als lebensfroher Paartanz in der prächtigen Feiertagstracht hat es der Schwälmer Tanz zu großer Bekanntheit und einigem Ruhm gebracht. Er findet sich oftmals als „Nationaltanz auf der Schwalm“ bezeichnet, wobei die etwa 10.000 in der Schwalm lebenden Menschen, weit davon entfernt waren eine Nation zu sein. Zur Bekanntheit haben wesentlich Maler und ihre Werke beigetragen. So ist das Ölbild „Schwälmer Tanz“ von Carl Bantzer aus dem Jahr 1898 zu einer Ikone des Schwälmer Festtagslebens geworden. Wilhelm Thielmann, Otto Ubbelohde, Karl Mons und weitere Maler haben weitere Bilder dazu als gezeichnete und gemalte Darstellungen geschaffen, die zur Bekanntheit und seinerzeitigem Ruhm beigetragen haben.

Reizvolle Studie zum Schwälmer Tanz von Wilhelm Thielmann (1868 – 1924).

In den eigentlichen und starken Schwalmdörfern wie Loshausen, Röllshausen, Schrecksbach oder Zella, war der Schwälmer Tanz im Festtagsleben traditioneller Bestandteil. Das ist die erlebbare Grundlage gewesen für viele Maler eigene Fassungen und Darstellungen auf Papier und die Leinwand zu bringen. Der in Kassel lebende Musiklehrer und Komponist Johann Lewalter hat den Schwälmer Tanz 1931 in Noten gefasst. 

Die Suchworte „Schwälmer Tanz“ bei der Suchmaschine Swisscows erbringen zahlreiche Ergebnisse, darunter viele historische Kunstpostkarten. Sternbald-Bildschirmfoto

Mit der Verbreitung von farbig gedruckten Kunstpostkarten und später Farbfotografien wurde der Schwälmer Tanz dann auf zahllosen Postkarten verbreitet. Die Anzahl der Motive und Variationen solcher Ansichtskarten lässt sich kaum überblicken. So kann es nicht verwundern, dass heute Antiquariate und Händler diese Karten über das Internet anbieten und vertreiben.

Vincent Burek „Schwälmer Tanz“, Farblinolschnitt

Nach dem Zweiten Weltkrieg als Zeit des endgültigen Rückgangs und Aussterbens der Schwälmer Tracht(enkleidung) hat der in Ziegenhain lebende Grafiker Vincent Burek (1920 – 1975) verschiedene Darstellungen und Variationen zur Schwälmer Tracht in eindrucksvoller Bildsprache als Linolschnitte geschaffen. Darunter gibt seinen Schwälmer Tanz, der in Perspektive und Darstellung entfernt an Carl Bantzer erinnert.

„Dass gerade dieses Bild zu einer Ikone der Schwalm geworden ist, in deren farbigen Ausdruck sich ein nicht unwesentlicher Teil des bis heute noch vorhanden regionalen Selbstbewußtseins spiegelt, hat auch die Ursache in Bantzers Schilderung von kostbare Details innerhalb des sehr bewegten Ganzen“. Mit diesen Worten unterstreicht der Kunsthistoriker Bernd Küster  1993 in seinem Buch über Carl Bantzer die Wirkung und Bedeutung des Schwälmer Tanzes weit über die Zeiten als gelebter und erlebbarer Wirklichkeiten hinaus.

Schwarz-weiß-Druck „Schwälmer Tanz“ von Henner Knauf (1901 – 1976)  aus 1927. Repro Erich Würz-Huß

Aus dem seinerzeitigen Leben in der Schwalm gründen die Motive des Schwälmer Tanzes,  die zunächst von Malern aufgegriffen und weithin bekannt gemacht wurden. Als Entwicklung in den 1970iger und folgenden Jahren kam es in der Schwalm zur Gründung von Trachten- und Volkstanzgruppen. In Loshausen und Seigertshausen beispielweise sorgten Erinnerungen, Überlieferung für nachlaufende Aneignungen und tanzorientierte Präsentationen, jährlich wiederkehrend besonders zur Salatkirmes in Ziegenhain als Stelldichein von Trachtengruppen im Festzug und anschließenden Tanzvorführungen auf dem Paradeplatz.

Ansichtskarte mit Zeichnung Schwälmer Tanz von Wilhelm Thielmann und Noten von Johann Lewalter

Der Schwälmer Tanz hat nicht alleine auf Gemälden überlebt, die in Museen ihren festen Platz gefunden haben und ist besonders bei älteren Bewohnern im Gedächtnis präsent. Zum Start der Workshop-Reihe „Das Dorf als Leinwand“ 2023 / 2024 in Willingshausen stell die Künstlerin Elke Anders Bezüge zur Schwalm als vormalige Trachtenlandschaft und gleichermaßen auf den Niederschlag in Kunstwerken früherer Maler. Der Versuch der Schaffung einesm neuen gemalten „Schwälmer Tanz“ – mit Blick auf Bantzers berühmtes Vor-Bild – hat am letzten Augustwochenende mit malenden Laien als Workshop in einer zum Atelier gewandelten Scheune stattgefunden.

Der entstandene neue „Schwälmer Tanz“ von >Elke Anders & Team 2023< wird in Willingshausen in der Carl-Bantzer-Straße am 22. September öffentlich vorgestellt und zugleich außen an der Scheuenwand gegenüber der Apotheke dauerhaft angebracht. Das Malerdorf Willingshausen erhält damit Jahrzehnte nach den Wandbildern von Günter Heinemann erneut ein großformatiges Wandbild für den öffentlichen Raum und damit für alle jederzeit gut zu betrachten.

Als Maler haben sich Dorfbewohner selbst mit künstlerischer Anleitung betätigt. Sie haben damit eine vormalige Rolle als auf Gemälden nur dargestellte Personen hinter sich gelassen und sind kreativ-künstlerisch tätige Subjekte geworden. In dieser Betrachtung kommt der „Schwälmer Tanz“ nunmehr als gemaltes Werk in den Alltag und in das Dorfbild von Willingshausen.