Kunst-Erlebnis Wochenende im Malerdorf Willingshausen

Rückseite zur Übersicht der Kunst- und Kulturrouten in Willingshausenam Dorfplatz. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

06.07.2023 | Ein Blick nach vorn: Besonders für den Besucher und die Kunstaktiv-Urlauberin aus Großstädten kann ein Aufenthalt in Willingshausen nicht alleine ungewöhnliches Eintauchen in kunstgeschichtliche Gefilde der Malerei bedeuten und Teilnahme an Kursangeboten der Malschule Willingshausen bescheren. Geboten wird zugleich das Erlebnis in einer reizvoller Kulturlandschaft mit Erkundungsgängen, die im hier vorgestellten Rahmenprogramm gleichermaßen kontrastierend wie bewegungsorientiert einen hohen Erlebniswert bieten.
Am Beginn dieses Angebots von Willingshausen Kunst@Kultur anders steht ein Abholservice für mit dem Zug Anreisende am Bahnhof Neustadt, sechs Kilometer entfernt im Osten des Landkreises Marburg-Biedenkopf gelegen. Die Angekommenen erwartet ein Fahrzeug als Shuttle für die überschaubare Strecke nach Willingshausen durch Buchenmischwald auf einem Höhenzug.

Viele machen gerne von dem Angebot Gebrauch ihr Gepäck verladen zu lassen und nur für zwei Kilometer Richtung Willingshausen bis zum Waldrand mitzufahren. Danach geht es zu Fuß weiter auf der von Laubbäumen gesäumten schmalen Landstraße mit kundiger Führung durch einen Lotsen.

Diesen Weg haben nach 1850 mit Fertigstellung der Main-Weser-Bahn zwischen Frankfurt und Kassel bereits viele Maler genommen. Deren Zahl hatte bis zum Ersten Weltkrieg von Düsseldorf, Frankfurt und Dresden kommend – in der Blütezeit der Malerkolonie Willingshausen – stetig zugenommen. Die allmähliche Annäherung auf Schusters Rappen auf schmaler Landstraße brachte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert den Malern ebenso nachdrückliche Naturimpressionen wie sie heutige Kulturtouristen beeindruckt.

Das Kulturdenkmal Atelierhaus Thielmann in der Neustädter Straße am Ortsrand von Willingshausen. In 2016 wurde für die gelungene Sanierung von Gebäude mit parkähnlichem Gartengründstück dem heutigen Eigentümer, Kunsthistoriker Dr. Bernd Küster, ein Hessischer Denkmalschutzpreis zuteil. Für Willingshausen ist das Atelierhaus Thielmann das wichtigste und einzige bauliche Zeugnis aus der Spätzeit der einstigen Malerkolonie.  Sternbald-Foto Hartwig Bambey © 2021

Durch einen von Bäumen gesäumten Hohlweg kommt das im Antrefftal gelegene Dorf Willingshausen näher. Auf der linken Seite erhebt sich außerhalb der Ortslage in großem Gartengrundstück am Hang hinter altem Kastanienbaum das vom Maler Wilhelm Thielmann 1924 erbaute Atelierhaus. Dessen Besichtigung komme später dran, teilt der freundliche Kunsterlebnis-Lotse mit. Doch einen Willkommenstrunk bei einem ersten Halt hier vis à vis hat sich jede/r von Neustadt „Eingewanderte“ bereits verdient. Mit einem „Schwälmer Hennes“ im kleinen Fläschen wird eine gefaltete Karte übergeben, in der sich zudem das Programm der kommenden zweieinhalb Tage findet.

Bis zum Hof des Gerhardt-von-Reutern-Hauses mit der kleinen Kunsthalle Willingshausen an der zentralen Straßenkreuzung in der Ortsmitte sind es nach der kurzen Pause schlappe 500 Schritte. Auf schattigen Sitzplätzen erläutert der Kulturlotse den Ablauf des gebuchten Kunst-Erlebnis-Wochenendes bis zum Sonntag.

Orientierungstafel in Ortsmitte des Malerdorfe: links die Kunsthalle und rechts ein Fachwerkanwesen. Sternbald-Foto Hartwig Bambey


Besuch im Malerstübchen und in der Kunsthalle

Die fußläufig aus Neustadt eingetroffenen Kulturaktiv-Urlauberhaben beim Rundgang mit Traditionsort Malerstübchen bereits Hintergrundinformationen, die während der letzten Stunde auf Schusters Rappen vermittelt wurden.

Originale gibt es beim Rundgang in der oberen Etage des Gerhardt-von-Reutern-Hauses. Das mit Original-Gemäden an den Wänden rekonstruierte Malerstübchen, in dem die Maler dereinst in illustrer Runde den Feierabend verbrachten, gibt dem Besuch die gehörige Authentizität. Wer will, kann später  spezielle Themen online via Smartphone oder Tablett abrufen. Am Freitagabend gibt es nach dem Mühlen-Dinner im Kulturhaus Antreff eine fulminante Multivision per Beamer auf eine Scheunenwand, bei Regen indoor.

Die gebuchten Teilnehmer erwartet in Willingshausen ein pralles Programm mit Eintauchen in die Kunst- und Malereigeschichte samt eigenhändigem Zeichnen- und Malkurs mit Anleitung.
 Die knappe Stunde Fußweg zunächst durch Wald, dann durch die Feldflur mit reizvollem Ausblick über das Antrefftal mit der näher rückenden Ortslage und Fernsicht zu den Höhenzügen des Knüllgebirges im Osten war ausgesprochen kurzweilig. Der begleitende gut geschulte Kunsterlebnis-Lotse weiß kundig und humorig zu berichten aus längst vergangenen Tagen als Maler wie Ludwig Knaus, Adolf Lins und Carl Bantzer sich aus den Akademiestädten Frankfurt, Düsseldorf oder Dresden die weite Reise unternahmen um „Land und Leuten auf der Schwalm“ kennenzuleren.

Ludwig Knaus „Dorftanz unter der Linde“, entstanden 1850, Museum Georg Schäfer Schweinfurt. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

So verwundert es nicht, wenn unterwegs bereits bekannte Gemälde etwa vom Genremaler Ludwig Knaus oder von Carl Bantzer auf den Bildschirm des Tabletts gezeigt und im Zeitsprung von eineinhalb Jahrhunderten in der originalen Landschaft ihrer Entstehung präsentiert werden.

Es fasziniert die Verknüpfung von Anschauung traditioneller Malerei früherer Willingshäuser Meister und eigenen Versuchen bildnerischer Skizzierung und Darstellung mit Stift und Papier oder Pinsel auf Leinwand. Nach dem Besichtigungsprogramm am Freitag füllen ein Dorfrundgang, Besuch des Erbehof mit Töpfererzeugnissen und im benachbarten Kulturhaus AnTreff den Samstagvormittag.

Kursteilnehmerinnen der Malschule Willingshausen beim Sommerkurs 2021 in der „Neustädter Sieben“, vormals Bäckerei Dittschar. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Gerne berichten Besucher und Teilnehmer/innen von der gelungenen Mischung in Willingshausen. Zum Kunst-Erlebnis-Wochenende im Rahmen von Willingshausen Kunst@Kultur anders am Samstag gehören nachmittags Kompaktkurse mit bildnerischen Techniken des Zeichnens und Malens. Die Kompakkurs von zwei Mal 90 Minuten eröffnet verdichtet eigenes Kennelernen von Grundtechniken des Zeichnes und Malens.

Dass der Samstagabend von einem ausführlichem „Kulinarischen Exkurs“ in Anspruch genommen wird, überrascht niemanden. Die Kulturlandschaft Schwalm hatte neben ihrer farbenfrohen Bauerntracht eine eigene bäuerliche Küche zu bieten. „Wecksupp, Flesch un Heschebrei eßt mer und trinkt Bier debei“ heißt es dazu eine Verszeile in einem bekannten Gedicht.

Am Sonntag hat jede/r zum Ausklang die Wahl zwischen einem Ausflug nach Marburg in Kunstmuseum oder nach Kassel in die Neue Galerie. Dort sind prominente Werke von Willingshäuser Malern Teil der ständigen Ausstellungen.
 Manch eine/r zieht den kürzeren Weg ins benachbarte Holzburg oder Ziegenhain vor, wo vergangenes Dorfleben und Kultur der Schwalm in Museen präsentiert werden.
 

Das Drei-Tage-Programm in Willingshausen ist nicht für die Hängematte und fordert und bietet einige aktive Beteiligung. Die Quartiere sind verteilt in Gästezimmern von Pensionen, zum Teil in mehreren  Ortsteilen der Großgemeinde, manche im Landhotel Bechtel in Willingshausen-Zella. Ein Shuttle-Service überbrückt die immer kurzen Distanzen.

Das Kunst-Erlebnis-Wochenende ist idealer Einstieg und viele kommen wieder. Für die Rückreise per Bahn wollen viele das Shuttle-Fahrzeug lediglich für den Gepäcktransport. Der Weg auf der Neustädter Straße durch Buchenwald auf eigenen Füßen zum Ausklang dieses bewegten Wochenendes ist geradezu Farewell-Zeremonie.

Übersicht der Kunst- und Kulturrouten in Willingshausen mit Bildern aus der Zeit der Malerkolonie. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

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