
14./29.05.2023 | Hochbetagt ist vor einigen Tagen die Künstlerin Marianne Heinemann gestorben. Seit einer Reihe von Jahren hat die 1915 in Bad Wildungen geborene Tochter von Wilhelm Thielmann (1868 – 1924) und Alexandra Thielmann, geb. Thilenius, (1881 – 1966) in einer Seniorenresidenz bei Karlsruhe gelebt. Wie im Ort mitgeteilt wurde, soll die Beisetzung nach Pfingsten in Willingshausen in dem Familiengrab Thielmann erfolgen.

Mit Marianne Heinemann ist die letzte Künstlerin, die über viele Jahrzehnte im Haus Thielmann zusammen mit ihrem Mann Günter Heinemann (1914 – 1999) gelebt und gewirkt hat, verstorben. Als Tochter von Wilhelm Thielmann und Alexandra Thielmann, geb. Thilenius aus Bad Wildungen war Marianne Thielmann Malerei und Kunst in die Wiege gelegt. Mit dem frühen Tod ihres Vaters in 1924 ist eine Situation entstanden, in der die ökonomischen Zwänge zur Ernährung der Familie durch die Mutter oftmals vieles dominierten. Unterstützung erhielt die vierköpfige Familie Thielmann durch Carl Bantzer als Patenonkel von Marianne Thielmann, der nach dem Tod seines Freundes Wilhelm Thielmann alljährlicher Sommergast im Haus Thielmann wurde. Bis in sein Todesjahr 1941 kam Bantzer, der Patenonkel von Marianne Heinemann war, in jedem Sommer nach Willingshausen.
Davon berichtete Marianne Heinemann als regelmäßige mehrwöchige Sommeraufenthalte als Gast in dem kleinen Pensionsbetrieb, den Alexandra Thielmann in ihrem Haus angeboten hat. Für die junge Malertochter war zunächst das Erlernen des nahrhaften Berufes einer Schneiderin in der mütterlichen Werkstatt nach der Schulzeit auf dem Oberlyceum Marburg bis 1928 angesagt. Carl Bantzers finanzielle Unterstützung machte für sie den Besuch einer privaten Kunstschule in Düsseldorf möglich. An diese Lehr- und Lernzeit schloss 1935 ein Studium an der Kunstakademie in Berlin an, was sie nach zwei Jahren vorzeitig beenden musste.
Frühe Arbeiten belegen ihr Talent mit starken Einflüssen der Neuen Sachlichkeit in ihrer Malweise. Portraits und Landschaften waren ihr Suject. „Korrektur bekam ich vom Patenonkel, Carl Bantzer, der jeden Sommer viele Wochen in unserem Haus, in Mutters Pension verbrachte. Später holte ich mir Korrektur von Prof. Kai Nebel in Kassel“ erläutert Marianne ihren künstlerischen Werdegang. Es war Marianne Heinemann der Beruf als Malerin gleichermaßen vorgezeichnet wie mit Hindernissen belegt. Die wirtschaftlichen Erfordernisse und Zwänge bedeuteten viel Entlastungsarbeit der Tochter Marianne im Pensionsbetrieb und der Werkstatt der Mutter.
So sehr Marianne Thiemann, ab 1942 verheiratete Heinemann, als personales Bindeglied zwischen der Zeit der Malerkolonie Willingshausen und den Folgezeiten erscheinen mag, war es ihr persönlich und in Ausübung angelegen nicht als späte Figur einer „Willingshäuser Malerin“ wahrgenommen zu werden oder zu agieren. „Durch die Umstände bedingt, ist Mariannes Heinemanns OEuvre schmal. Doch lassen sich in den frühen Arbeiten Ansätze erkennen, die diese Künstlerin – auch in den Augen Carl Bantzers, der sie lobend erwähnt – als Hoffnungsträgerin für die Kunst in der Schwalm erscheinen ließen,“ so die Einschätzung der Kunsthistorikerin Angelika Baeumerth.
„Als Malerin beschritt Marianne Heinemann von Anfang an nicht den Weg der >Heimatkunst<. Ihr Selbstportrait von 1939 (Selbst) zeigt die junge Frau als eine kritisch sich selbst betrachtende und in sich eindringende Künstlerin im Malkittel und mit der Palette in der Linken. Das Gemälde zeigt noch die Spuren der Malerei der Neuen Sachlichkeit: hauchdünnen Farbauftrag, der die Leinwand durchscheinen läßt und eine summarische, vom Detail abstrahierende Betrachtungsweise.“
Zusammen mit Günter Heinemann wirkte Marianne Heineman von 1972 bis 1992 als Dozentin bei den meist sommerlichen Malkursen für Freizeitmaler in Willingshausen. In den zahlreichen Kursen, die von mehreren Tausend KursteilnehmerInnen gebucht und oft wiederkehrend besucht wurden, legte sie in zwei Jahrzehnten eine starke Grundlage für eine erneute Wahrnehmung von Willingshausen als Malerdorf – zeitgemäß fortgeschrieben und gewandelt in grundständig orientierten Hobbymalkursen für einschlägig interessierte Menschen in dem sich zunehmend zur Freizeit- und Tourismusgesellschaft sich wandelnden Deutschland.

Bereits in den 1940er Jahren hatte Marianne Heineman begonnen die im Aussterben begriffene Trachtenkleidung in der Schwalm malend zu dokumentieren. 16 von ihr geschaffene Aquarelle zeigen Männer und Frauen und Trachtenträger in verschiedenem Lebensalter mit der jeweils getragenen typischen Trachtenkleidung. Diese Motive wurden in einer Kunstmappe der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Später sind sie dann als Buch noch einmal veröffentlicht worden.
Im 2006 erschienenen Buch „Künstlerkolonie Willingshausen“ von Bernd Küster findet sich auf der Doppelseite 105/106 das Aquarell „Winter in Willingshausen“ von Marianne Thielmann aus 1941 wiedergegeben. Der Kunsthistoriker findet zur Kennzeichnung der Malweise und -inhalte von diesem wie anderen Aquarellen Marianne Heinemanns treffende Worte:
„Die liebevollen Aquarelle Marianne Heinemanns, der 1915 geborenen Tochter Wilhelm Thielmanns, sind mit ihrem lyrischen Realismus noch ganz auf die Natur der Schwalm bezogen, ohne bildnerische Mittel der lokalen Kunstgeschichte zu kopieren.“
Bernd Küster kommt das bleibende Verdienst zu nicht alleine maßgeblich zur finanziellen Alterssicherung von Marianne (und Günter) Heinemann beigetragen zu haben. Mit ihrer sehr schmale Rente hätten die beiden Künstler das ererbte Atelierhaus Thielmann im Alter aufgeben und verkaufen müssen als Anliegerbeiträge zum Straßenbau seitens der Gemeinde Willingshausen von ihnen aufzubringen waren. Vor diesem Hintergrund wurde mit Bernd Küster ein Vertrag zur Zahlung einer monatlichen Rente vereinbart. Damit konnte das Künstlerpaar das Haus weiter bewohnen und war zudem finanziell deutlich besser gestellt. Mit dem Kunsthistoriker Dr. Bernd Küster ist das einzige Künstlerhaus in Willingshausen zugleich in berufene Hände gelangt. Nachdem Marianne Heinemann im Jahr 2010 aus Altersgründen ausgezogen war, hat Küster dem denkmalgeschützten Haus und Anwesen eine aufwändige und sorgfältige Sanierung zukommen lassen.
Für September 2023 ist das Erscheinen eines Buches über die Malschule Willingshausen und deren stark ausstahlende Wirkungen auf die Entwicklung des Ortes – mit einer Vita von Marianne Heinemann und von Günter Heinemann – in Arbeit.
—> Artikel Heinemann-Ausstellung in Willingshausen – Kunstverfälscher reichen sich die Hände