26.03.2023 | Das historische Gasthaus Haase ist eng mit der Geschichte der Maler(ei) verwoben. Lange Jahre bestand das Gasthaus Haase in einem an sich schmucklosen Fachwerkbau, in dem es mit wachsender Zahl von Malern als Quartiergäste zunehmend beengt zugegangen ist. Dies führte zur Entscheidung für einen Neubau durch Gastwirt Hasse, der im Jahr 1900 errichtet worden ist.

Carl Bantzer berichtet darüber: „In den meisten Jahren meines Aufenthaltes in Willingshausen wohnte ich mit meiner Familie, vortrefflich aufgehoben, in dem Haaseschen Gasthaus, das in dem 1900 errichteten Neubau Unterkunft für viele Maler bot und in das auch das Malerstübchen samt bemalter Tür übernommen worden war. Nach dem Weggang der Familie Haase von Willingshausen 1927 blieb das Malerstübchen noch einige Jahre in dem von den Herren von Schwertzell übernommenen Haaseschen Hause, wurde aber im Jahr 1928 in eine echte Bauernstube des Völkerschen Gasthauses verlegt, wo es durch Herrn Dr. Ludwig Pfeiffer in Kassel in schöner alter Weise entstand. Das erweiterte Völkersche Gasthaus bietet auch Unterkunft für Maler. Seit 1928 wohnte ich meist im Hücker´schen Fremdenheim, später auch in dem der Frau Prof. Thielmann.“ (1)
Damit ist das Jahr der Erbauung des Gebäudes, dessen wechselvolle Geschichte hier berichtet wird, aus erster Hand belegt.
Zugleich gibt Carl Bantzer wertvolle Informationen gewissermaßen zur gastronomisch-touristischen Infrastruktur Willingshausen in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Es existierte neben dem Haaseschen Gasthaus der Gasthof Völker, in dem Maler Zimmer ebenfalls zur Übernachtung belegen konnten. Hinzu kam das „Hücker´sche Fremdenheim“, das von der Witwe von Oberförster Hücker zur Versorgung ihrer Tochter als Pension erbaut wurde. Auch das 1924 fertig gestellte Haus Thielmann diente als Pension, in der neben Carl Bantzer die Malerin Henriette Schmidt-Bonn regelmäßiger Gast war, von 1942 bis zu ihrem Tod 1946 lebt sie ständig dort.

Willingshausen hatte neben Privatquartieren, die an Maler vermietet wurden, mithin zwei Gasthäuser und ein großes Pensionsgebäude eine ausgeprägte Infrastruktur. Dies ausdrücklich festzustellen in einer Zeit, wo es nach Einstellung des Restaurantbetriebes seitens der Gürre Stubb keinerlei gastronomischen Betrieb mehr im Ort gibt, erscheint geboten.
Kunst und Malerei kann nicht im luftleeren Raum existieren, braucht Quartiere, Speis und Trank und Raum für Geselligkeit, was Verantwortliche seit Jahren geflissentlich übersehen.
Eigentümer und Nutzungswechsel
Nach Aufgabe der Gastronomie und Wegzug der Familie Haase aus Willingshausen ist es zu einem Eigentumswechsel gekommen. Die Familie Schwertzell hat das Gebäude erworben und Jahrzehnte lang als Renterei genutzt. (3) In den 1930iger Jahren hatte das Wirken von Malern in Willingshausen längst ein Ende gefunden. Eine Ausnahme bildete lediglich das Haus Thielmann, wo Alexandra Thielmann die „Werkstatt für Schwälmer Stickerei“ aufgebaut und über Jahrzehnte erfolgreich betrieben hat. Dem Lebensunterhalt der vierköpfigen Familie diente der Betrieb als Pension, in der Carl Bantzer und Henriette Schmidt-Bonn, mithin zwei Maler, zu den regelmäßigen Gästen gehörten.
Auch Tochter Marianne Thielmann erfuhr neben einer Ausbildung als Schneiderin eine Ausbildung und Studium der Malerei. Damit überdauerte die Malerei in Willingshausen in stark reduzierter Art und Weise in einem Haus. Im Zweiten Weltkrieg und den anschließenden Jahrzehnten setzte das allgemeine Vergessen ein im vormaligen Malerdorf. Aus dem Gasthaus Haase war eine Renterei geworden. Das Malerstübchen wurde heimatlos und die verbliebenen Möbelstücke wurden mit der historischen bemalten Tür eingelagert.
Die Aktivitäten von Georg Todt als Vermieter an Pensionsgäste ab 1966 mit Günter Heinemann mit dem Angebot von Malkursen in Willingshausen und deren professioneller Bewerbung führten ab 1972 zu einer Belebung des Ortes. Kursteilnehmer/innen kamen für eine oder zwei Wochen als Freizeitmaler nach Willingshausen.
Das machte das Malen wieder erlebbar für die nachgewachsene Generation. Steigende Gästezahlen brauchten weitere Pensionsbetriebe, die Malkursteilnehmer wollten verköstigt sein und Friseur Knauf nahm Malerbedarf in sein Sortiment.
Es fehlte bald an Atelierraum im Dorf, wozu in einem ersten Schritt die alte Schule, das Gebäude der heutigen Apotheke, hergerichtet wurde. Nach einigen Jahren wachsenden Bedarfs und Belegungszahlen bei den Malkursen und in Pensionen kam das vormalige Gasthaus Haase ins Spiel. Es wurde von der Familie Schwertzell nicht weiter genutzt und konnte von der Gemeinde Willingshausen erworben werden und ist 1989 in Betrieb gegangen.
Im Obergeschoss wurden Atelierräume für die Malkurse eingerichtet. In der mittleren Etage hat das Malerstübchen ein Domizil gefunden. Zudem hatte es dort einen größeren Raum, der für Ausstellungen und kleine Veranstaltungen genutzt wurde. In der unteren Etage haben Vereine aus dem Ort Gruppenräume erhalten.
Damit wurde ein wesentlicher Schritt vollzogen um den auch wirtschaftlich für den Ort zuträglichen Malkursangeboten eine angemessene Ausstattung zu bieten. Nicht zuletzt wegen Aktivitäten im Umfeld – im Museum der Schwalm in Ziegenhain hatte der Maler Vincent Burek 1974 das Kunstkabinett als Örtlichkeit für Kunstausstellungen etabliert – wurde das weithin vergessene Thema Malerei wieder wahrgenommen und mit Aktivitäten belegt. Die Benennung als Gerhardt-von Reutern-Haus ist dafür ein klarer Ausdruck.
(1) Carl Bantzer Hessen in der deutschen Malerei, Marburg 1939, S. 96.
(2) Bildquelle ebenda, S. 75
(3) In der Denkmaltopographie zu Willingshausen findet sich das Gebäude beschrieben als „repräsentatives Pächterwohnhaus der Jahrhundertwende“, dem darauf bezogen „künstlerische und geschichtliche Bedeutung“ zugesprochen wird. Diese Beschreibung ist unzutreffend, wie die Autoren ohne weiteres bei Bantzer, siehe Anmerkung 1, hätten feststellen können. Die künstlerische und geschichtliche Bedeutung resultiert aus der Eigenart als Gasthaus, wofür das Haus 1900 erbaut worden ist. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Hessen, Schwalm-Eder-Kreis I, Braunschweig, Wiesbaden 1985. S. 555.