20-02-2023 | Besucher des heutigen Willingshausen nehmen in zentraler Lage das Ensemble von Gerhardt-von-Reutern-Haus und Kunsthalle war und könnten den Eindruck haben, dass im Ort der vormaligen Malerkolonie es gut um die Gegebenheiten für Malerei und und Kunst bestellt sein muss. Dieser Eindruck ist nicht falsch und wird verstärkt in Kenntnis des inzwischen etablierten Künstlerstipendiums, welches Jahr für Jahr zwei junge Künstler/innen für je drei Monate zum Arbeitsaufenthalt in den Ort bringt. Kunstausstellungen während des Jahres und das Kleinmuseum Malerstübchen arrondieren das Bild einer gefügten Gesamtsituation von Angeboten im Kultur- und Kunstbereich von Willingshausen.
Ein Rundgang im Ort bringt zudem in die Wahrnehmung, dass bei der Dorfmühle das Kulturhaus AnTreff geschaffen wurde. In Richtung Neustadt begegnet die Neustädter Sieben als mit Kurs- und Ausstellungsangeboten revitalisierter vormaliger Bäckereiladen bevor das Restaurant Gürre Stubb mit Zimmervermietung in den Blick kommt. Nach dem imposanten Steinbau, in dem vormals Maler Quartier bei Oberförster Hücker gefunden haben, kommt 100 Meter außerhalb der Ortslage in der Neustädter Straße das sanierte Atelierhaus Thielmann in den Blick.
Dass es Mangel geben könnte angesichts zahlreicher einschlägiger Angebote, wird Betrachtern wohl nicht in den Sinn kommen.
Es mag dabei die Frage auftauchen wie es dazu gekommen ist, dass in Willingshausen in dieser Ausprägung einschlägige Angebote und Einrichtungen samt baulicher Infrastruktur geschaffen worden sind. Zur Beantwortung man einige Jahrzehnte zurück gehen bis Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Das Bild des Dorfes war in dieser Zeit ein anderes. Es gab nicht wenige Handwerksbetriebe darunter Schreiner, Schmied, Schuhmacher und Installateur, außerdem einige bewirtschaftete Bauernhöfe. Die Bäckerei in der Neustädter Straße war wenige Jahre zuvor an diesem Standort neu gebaut in Betrieb gegangen, an der zentralen Kreuzung war die Gaststätte Malerstübchen in einem recht schmucklosen Neubau in Betrieb. Das vielgerühmte Malerstübchen allerdings fristete ein Schattendasein, die Möbel waren jahrelang eingelagert und das einst lebendige Geschehen mit zahlreichen Malern war bereits seit den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg unwiderruflich zu Ende gegangen.
Willingshausen war in den Zustand eines normalen Dorfes zurück gekehrt, ähnlich vielen anderen Dörfern im damaligen Landkreis Ziegenhain. Im Ort existierten eine Zahl von Kleinbetrieben mit Vollarbeitsplätzen. Die Mehrzahl der Menschen freilich war in Fabriken in Ziegenhain, Neustadt oder Stadtallendorf beschäftigt. Neue Schulgebäude wurden gebaut und oftmals Gemeinschaftshäuser und Wandel zur Moderne machte sich breit. Anfang der 1970iger Jahre wurde dann eine kommunale Gebietsreform umgesetzt, die viele Dörfer in neuen Großgemeinden zusammenführte.
Wie andernorts auch führte das Wirken Einzelner in Willingshausen mit dem Zusammentreffen zweier Bewohner zu folgenreichen Veränderungen. Der Eisenbahner Georg Todt betätigte sich in gewissen Umfang als Vermieter von Gästezimmern und rekurrierte dabei auf Belegung aus den Reihen bei der Deutschen Bahn Beschäftigter. Gewisse Fehlzeiten stellten sich ein, weshalb ihm die Frage in den Kopf kam, ob als Aktivurlaub möglicherweise Malkurse weitere Anziehung, Bekanntheit und neue Gäste nach Willingshausen bringen könnten.
Mit dieser Idee ist er beim in Willingshausen lebenden Maler und Künstler Günter Heinemann auf offene Ohren gestoßen. Die Zeit des Wiederaufbaus mit neuen Schulgebäuden und Gemeinschaftshäusern war in Hessen zu Ende gegangen. Damit gab es keine weiteren Aufträge im Rahmen von Kunst am Bau mehr von staatlicher Seite. Günter Heinemann brauchte mit seiner Frau Marianne, ebenfalls ausgebildete Malerin, eine neue Einnahmequelle.
Gesagt getan. Es wurden Programme mit Malkursen aufgelegt und in Printmedien beworben. 1971/72 waren dies durchaus rare und besondere Angebote in Deutschland. So konnten recht schnell Buchungen getätigt werden. Die Malkurse für Freizeitmaler fanden Anklang und brachten Gäste in das Dorf, die Quartiere brauchten, um für eine oder zwei Wochen am Unterricht im Zeichnen und Malen teilzunehmen.
In Verbindung mit redaktioneller Berichterstattung in Illustrierten und Tageszeitungen, dazu auch in Katalogen des DER-Verbundes, kam allmählich das Thema der ehemaligen Malerkolonie wieder in das Bewusstsein. Für Journalisten boten sich in Willingshausen zudem Stories zur vormaligen Malerkolonie in Verbindung mit Landschaft, Dorf und Leuten in der Jetztzeit.
Im Verlauf der Siebziger, Achtziger und Neunziger Jahre ist eine beachtliche Zahl von längeren Text-Bild-Berichten in vielen großen und regionalen Tageszeitungen erschienen. Zugleich sorgten die Kurse im Sommerhalbjahr, teilweise auch im Herbst- Winterbereich, für einen Zustrom an Malerinnen und Malern, die gerne als Sonntagsmaler bezeichnet wurden.
Willingshausen wurde allmählich wieder ein Thema. Im Ort lebten noch einige, denen die Maler in den Zwanziger Jahren, insbesondere Carl Bantzer, gut im Gedächtnis waren. Die Gästezimmer von Georg Todt reichten schon bald nicht mehr aus. Uschi Becker zeigte die Initiative und richtete die Pension Wiesengrund mit 11 weiteren Gästezimmern ein. Wegen Fehlen eines Restaurants übernahmen zunächst örtliche Metzger die Versorgung der Gäste mit täglichen warmen Mahlzeiten, denen ein Mangel an Fleisch nicht nachgesagt werden konnte.
Das Malzubehör wie Farben, Pinsel, Staffeleien und weiteres konnte beim örtlichen Friseur gekauft werden. Willingshausen entwickelte sich zu einer anderen Art Malerdorf, mit anziehenden Merkmalen, allem voran die reizvolle Landschaft im Antrefftal.
Insbesondere Pleinair-Malerei war angesagt und konnte sommertags gut angeboten werden. Schwierig wurde es bei schlechtem Wetter, wenn Regenwolken den Himmel bewölkten und Niederschläge das Malen im Freien verhinderten. Dafür brauchte es Atelierräume. Das Atelier im Haus Heinemann konnte allenfalls ein Notbehelf sein, denn es bot nicht hinreichend Platz für die wachsende Zahl von Kursteilnehmern.
Spätestens jetzt war die Gemeindeverwaltung gefordert und wurde ins Boot geholt. Die leerstehende Schule im Ortskern, inzwischen schon wieder seit Jahrzehnten als Apotheke genutzt, bot gewisse erste Möglichkeiten. Darin wurden Atelierräume eingerichtet, womit die Malkurse eine vom Wetter unabhängige Möglichkeit erhielten und damit für verlässliche Buchungen die Grundlage geschaffen wurde.
Wo gezeichnet und gemalt wird entstehen Bilder und Gemälde, die ausgestellt werden können.
Dafür bot das vormalige Schulgebäude nur gewissen Raum. Neben Atelierräumen hatte die Gemeinde Räume für Vereinsnutzung hergerichtet. Auch das Malerstübchen erfuhr nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf in Kellerräumen eine Wiederauferstehung und wurde zu einer besuchbaren Einrichtung hergerichtet.
Damit ist die Phase der Entstehung und Belebung von Willingshausen in den 1970iger Jahren beschrieben. Zwei Künstlern und einigen Vermietern ist es – getragen von ihrer bemerkenswerten Öffentlichkeitsarbeit in Printmedien – gelungen an das Thema Malerei in Willingshausen anzuknüpfen und dies mit einer mehrfach nahrhaften Komponente mit zeitgemäßen Leben auf einer wirtschafltichen Grundlage in Gang zu setzen.
Danach erst hat man sich bei der Vereinigung Malerstübchen besonnen. Man begann spät sich der Tradition zu erinnern und nach einigen Jahren wurden Kunstausstellungen mit Werken bekannter Willingshäuser Maler angeboten.